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Israel muss sich entscheiden

Akiva Eldar


Wie ein Mantra wiederholen amtliche Stimmen Israels dieser Tage, von Ministerpräsident Ehud Olmert bis hinab zum letzten Pressesprecher, unablässig den Satz: „Zeigen Sie uns einen Staat, der Zurückhaltung übt, wenn ständig Raketen auf die Zivilbevölkerung seines eigenen Staatsgebiets abgeschossen werden.“ Und zugunsten provinzieller Zuschauer wie unserer amerikanischen Freunde hat die israelische hasbara (hebräischer Ausdruck für „Erklärung“ oder „Information“ – was besser klingt als „Propaganda“ ) einen Film produziert, der Israels Südgrenze mit derjenigen der Vereinigten Staaten vergleicht. „Würden die USA“, fragt der Sprecher des Films, „Raketen ignorieren, die von Mexico aus auf San Diego abgeschossen werden?“

Die erwartete, wenngleich allzu simple Antwort lautet natürlich: Keinesfalls! Selbst ein unheilbarer Linker wie ich würde nicht tatenlos zusehen, wenn ägyptische oder jordanische Raketen in israelischen Städten einschlügen. Die zutreffende, allerdings vielschichtigere Antwort besagt jedoch, dass die Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen ( wie die zwischen Israel und dem Westjordanland oder den Golanhöhen) keiner anderen Grenze irgendwo auf der Welt, die israelisch-ägyptische und die israelisch-jordanische eingeschlossen, gleicht.

Die Tatsache, dass Israel seine Truppen – und im Jahre 2005 sogar 8000 Siedler – aus Gaza abgezogen hat, ändert nichts an einer anderen Tatsache: dass Gaza – in der Praxis ebenso wie gemäß Völkerrecht – immer noch Besatzungsgebiet ist. Israel kontrolliert, wer hinein und heraus kann, und desgleichen den Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen wie Energie und Wasser. (Mexico hingegen stand und steht nicht unter einer jahrelangen amerikanischen Luft- und Seeblockade.) Darüber hinaus hat Israels eindrucksvoller Sieg im Sechstagekrieg 1967 aus Gaza und dem Westjordanland eine ethnische Einheit gemacht. Das 1979 unterzeichnete Friedensabkommen zwischen Ägypten und Israel beließ den Gazastreifen in israelischer Hand. Die Oslo-Abkommen schließlich, die Israel und die Palästinenser im September 1993 unterzeichneten, legten fest, dass der Gazastreifen auch politisch mit dem Westjordanland eine Einheit bildet. Das bedeutet, solange letzteres unter israelischer Besatzung steht, gilt für Gaza das Gleiche.

Mit diesen Argumenten will ich nicht etwa das Verhalten der Hamas rechtfertigen oder ihre Interessen verteidigen. Die Hamas ist eine Feindin, die mir das Recht, als Jude in meinem eigenen Land zu leben, aberkennt. Es würde mich sehr glücklich machen zu erleben, wie sie die Macht verliert.

Ich glaube – wie ich seinerzeit schon schrieb -, Präsident Bush hat enormen Schaden angerichtet, als er darauf bestand, dass Scharons Regierung es der Hamas gestatten müsse, an den Wahlen im Januar 2006 teilzunehmen, obwohl diese Organisation die im Oslo-II-Abkommen festgesetzten Bedingungen nicht erfüllte. Und es hat mich zutiefst bekümmert, mit ansehen zu müssen, wie die Fatah – Israels Partner für ein Friedensabkommen, das auf der Schaffung eines Palästinenserstaates an seiner Seite basiert – keine Gelegenheit ausließ, Fehler zu machen. Korruption und Missmanagement entfremdete die palästinensische Wählerschaft ihrer vom tunesischen Exil geprägten Führung, und die Art und Weise, wie meine Freunde in Ramallah der extremistischen Hamas geradezu den Weg zur Macht bahnten, machte mich wütend. Aber man kann – wie mein Präsident, Shimon Peres, zu sagen pflegt – zwar aus einem Ei ein Omelett, aus einem Omelett jedoch kein Ei machen. Hamas hat nicht vor, Selbstmord zu begehen oder die weiße Fahne zu hissen.

Die Hamas ist heute in Palästina ein Bestandteil des demokratischen Systems, und der einzige Weg, sie von der Macht zu entfernen, ist der gleiche, auf dem sie dorthin gelangte: durch Wahlen, nicht durch Waffengewalt. Mahmut Abbas, dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, muss klar sein, wie er in den Augen seines Volkes dastände und welches Schicksal ihm blühte, ließe er sich dazu verleiten, auf dem von Israels Panzern und Kampfflugzeugen hinterlassenen Schutt nach Gaza zurückzukehren.


Eine mutige Lösung ist gefragt

Der Schlüssel zur Wiederherstellung der Fatah-Kontrolle über alle Palästinensergebiete, Gaza inbegriffen, liegt auf dem Verhandlungstisch. Alle Meinungsumfragen unter den Palästinensern haben in den letzten Jahren stets massive Unterstützung (65-70 Prozent) für die von Al-Fatah vorgeschlagene Zweistaatenlösung dokumentiert. Doch das Gewicht der Fatah nimmt ab, je weiter diese Lösung in die Ferne rückt, sei es durch verschleppte Verhandlungen oder wegen der Ausweitung israelischer Siedlungen. Angesichts des Mangels politischer Perspektiven ist es keine Wunder, dass die Palästinenser Hoffnung und Unterhalt mittlerweile in den Moscheen und Ausbildungsstätten der Hamas suchen.

Israel muss sich ein für allemal entscheiden, welchen Weg es gehen möchte: Ob es eine mutige Lösung des Konflikts erreichen oder ihn endlos verlängern will. Entscheidet es sich für Ersteres, so kann es auf die arabische Friedensinitiative vom März 2002 zurückkommen, die seinerzeit die begeisterte Unterstützung Jassir Arafats fand und bei der Hamas auf leidenschaftliche Ablehnung stieß. Einen besseren Deal als das, was diese Initiative anbietet, dürfte Israel wohl kaum erlangen können: die volle Anerkennung durch alle arabischen Staaten und die Herstellung normaler Beziehungen als Gegenleistung für den so gut wie vollständigen Rückzug aus den besetzten Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalems (bei gegenseitigem Gebietsaustausch, falls Israel im Westjordanland oder in Jerusalem bestimmte Gebiete behalten will) sowie eine gerechte und einvernehmliche Lösung des Flüchtlingsproblems. Käme es dazu, ist anzunehmen, dass die internationale Gemeinschaft mit dem neuen amerikanischen Präsidenten an der Spitze den Vertragsparteien massive Sicherheitsgarantien und Wirtschaftshilfen gewähren wird.

Wenn Israel sich weigert, den Preis zu zahlen – der sich während der letzten beiden Jahrzehnte nicht verändert hat und es in den beiden nächsten wahrscheinlich auch nicht tun wird –, und wenn es das Risiko eingehen will , seinen jüdischen und demokratischen Wesensgehalt zu verlieren, kann es mit der Hamas, statt sie zu bekämpfen, unschwer Gemeinsamkeiten finden: Auch die Hamas lehnt schließlich die Vorstellung von zwei Staaten im Rahmen der Grenzen vom 4.Juni 1967 entschieden ab. Ihre Führer benötigen einen langfristigen Waffenstillstand und haben bewiesen, dass sie so etwas durchsetzen können. Sie wissen, dass sie Israels starke Armee nicht besiegen können. Sie wissen aber auch, dass, solange Israel dauerhafte Grenzregelungen gegenüber Gaza und dem Westjordanland verweigert, die demographische Uhr tickt und – weil es in Israel und den besetzten Gebieten schon bald eine palästinensische Mehrheit geben wird – den Traum von einem „Großpalästina“ immer realistischer erscheinen lassen wird.


Akiva Eldar, leitender Politikkolumnist der israelischen Tageszeitung „Ha´aretz, lebt in Tel Aviv

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