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Ein grüner New Deal

Bärbel Höhn


Das Zusammentreffen der globalen Klimakrise mit der schwersten internationalen Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren hat zwei völlig gegensätzliche politische Reaktionen hervorgerufen. Auf der einen Seite werden, gerade in der Bundesrepublik, Stimmen laut, die Klimaschutzanstrengungen mit Rücksicht auf die prekäre Wirtschaftslage abzuschwächen oder gar auszusetzen. Exemplarisch dafür steht (stand d.Red.) Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) mit seiner Forderung nach einem „Belastungsmoratorium für die Wirtschaft“, zunehmend aber auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Via „Bild“-Zeitung warnte sie jüngst vor Arbeitsplatzverlusten durch den Klimaschutz, vor denen es Deutschland zu bewahren gelte. Dass dies keine leeren Worte waren, ist an dem verwässerten EU-Klimapaket vom Dezember und an den mageren Ergebnissen der Klimakonferenz in Poznan abzulesen.

Auf der anderen Seite gewinnt die Idee, die Strategien zur Überwindung der Wirtschaftskrise und zur Bekämpfung des Klimawandels zu verbinden, immer mehr Anhänger. So betont UN- Generalsekretär Ban Ki-Moon: „Finanzkrise und Klimawandel stellen uns vor enorme Herausforderungen. Aber es gibt eine Lösung für beides: die grüne Wirtschaft.“ Auch Ökonomen wie Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman betonen, dass es angesichts des weltweiten Einbruchs von Unternehmensinvestitionen und Konsumnachfragen öffentlicher Investitionen im großen Stil bedarf, um die schlimmsten Auswirkungen der Wirtschaftskrise abzumildern. Diese Einschätzung ist heute Konsens in Washington und Peking, in Tokio und Paris.

Inzwischen kann sich selbst die lange zögerliche Bundesregierung in Berlin dieser Einsicht nicht länger versperren. Warum also, so wäre zu fragen, sollte man die wirtschaftlich gebotenen Investitionen nicht darauf ausrichten, den unerlässlichen ökologischen Strukturwandel voranzutreiben? Schließlich erfordert nicht nur der Klimaschutz, sondern auch die Knappheit und langfristige Verteuerung der fossilen Energieressourcen umfassende Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien.

In der Weltwirtschaftskrise half Franklin D. Roosevelts Politik des „New Deal“, die Vereinigten Staaten mit einem Mix aus staatlichen Infrastrukturinvestitionen, verbesserten Sozialleistungen und schärferen Finanzmarktregulierungen aus der Depression zu führen. Daran anknüpfend brauchen wir heute einen einen „grünen New Deal“, der die Re-Regulierung der Finanzmärkte mit Investitionen in Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit verbindet.

Dieses Konzept beschäftigt längst nicht mehr nur Fachleute in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Auch auf Verbraucherkongressen und in Internetforen ist der „grüne New Deal“ inzwischen Thema. Und selbst Autoren wie Thomas L. Friedman bekennen sich zur Notwendigkeit einer massiven ökologischen Investitionstätigkeit. Ist mit Blick auf den „grünen New Deal“ also ein „neuer Mainstream“ zu erkennen, wie der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske (Grüne) meint?

Vielleicht. Fest steht allerdings, dass dieser die große Koalition nicht einschließt. Denn während Barack Obama Klimaschutz zu einem Kernstück seines Krisenprogramms machen will, das chinesische 460-Mrd.-Euro-Konjunkturpaket ökologische Akzente setzt und Südkorea regierungsamtlich einen „grünen New Deal“ verkündet, macht die Bundesregierung vor allem durch klimaschädliche Vorschläge von sich reden. Paradebeispiel bleiben die im Rahmen des ersten Konjunkturpakets beschlossenen Verkaufsanreize für große Limousinen und Geländewagen durch die Aussetzung der Kfz-Steuer. Dazu passend soll das Nachfolgepaket nun den Autobahnausbau fördern. Und der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Jürgen Rüttgers (CDU), sieht das Rezept gegen die Wirtschaftskrise gar im Neubau klimaschädlicher Kohlekraftwerke.


Umbau der Energieversorgung

Wie könnte im Gegensatz dazu ein ökologisches Investitionsprogramm aussehen? Ein zentrales Handlungsfeld für einen „grünen New Deal“ sind Investitionen in eine klimaverträgliche Energieversorgung. Schließlich sind Energieeinsparungen und -effizienz immer noch die „vergessenen Säulen“ des Klimaschutzes. Hier bietet sich ein breites Feld von Investitionsmöglichkeiten an – vom Austausch veralteter Heizungssysteme über die Wärmedämmung bis hin zur Förderung der Anschaffung effizienter Elektrogeräte. Das Wuppertal Institut hat gemeinsam mit dem DGB schon vor Jahren das Konzept eines öffentlichen Energiesparfonds entwickelt, der Haushalte und Unternehmen bei der Erschließung dieser Energiesparpotentiale unterstützt. Jetzt wäre es an der Zeit, das Konzept endlich zu verwirklichen. Dazu muss die in der Krise schwindende Investitionsbereitschaft privater Akteure durch höhere öffentliche Energiesparinvestitionen kompensiert werden.

Dies gilt auch für die energetische Gebäudesanierung, die weiterhin viel zu langsam voranschreitet. Beim derzeitigen Tempo würde die Sanierung des Gebäudebestandes 160 Jahre in Anspruch nehmen. Da in der Rezession mit einem weiteren Rückgang der privaten Sanierungstätigkeit zu rechnen ist, sollte die öffentliche Hand diese Aufgabe verstärkt als Teil des grünen New Deals definieren.

Für erneuerbare Energien bietet das Erneuerbare-Energien-Gesetz auch in der Wirtschaftskrise verlässliche Investitionsbedingungen. Die in diesem Gesetz garantierte Einspeisungsvergütung dürfte das Wachstum der Branche, die heute schon 250 000 Menschen Arbeit gibt, auch in Zukunft beflügeln. Schwierigkeiten drohen jedoch bei Großprojekten wie Offshore-Windparks, die im Zuge der Krise trotz sicherer Renditeerwartungen Finanzierungsprobleme bekommen könnten. Hier muss der Bund gegebenenfalls mit Ausfallbürgschaften oder eigenen Investitionen einspringen, um diese ökologisch wie ökonomisch sinnvollen Projekte zu verwirklichen. Zum Hemmnis für die erneuerbaren Energien, insbesondere für Windstrom vor der Küste, kann auch der stockende Ausbau der Stromnetze werden. Öffentliche Investitionen in ein intelligentes und leistungsstarkes Netz können dieses Problem beheben und zugleich zur überfälligen Neuordnung beitragen. Denn um Wettbewerb auf dem Strommarkt zu schaffen, müssen die Netze ohnehin aus dem Eigentum der vier großen Energiekonzerne in eine unabhängige Netzgesellschaft unter starker Beteiligung der öffentlichen Hand überführt werde.

Investitionsbedarf besteht ach mit Blick auf hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplungskraftwerke (KWK), die Strom und Wärme gleichzeitig produzieren. Mit Wirkungsgraden on über 90 Prozent sind diese Kraftwerke zwei- bis dreimal so effizient wie herkömmliche Braun- oder Steinkohlekraftwerke. Deshalb ist die von der Bundesregierung angestrebte Verdopplung der im europäischen Vergleich geringen deutschen KWK-Quote von zwölf Prozent eine energie- und klimapolitische Notwendigkeit – nur reichen die durch das KWK-Gesetz bereitgestellten Mittel nach einhelliger Expertenmeinung nicht aus, um das Ziel zu erreichen. Eine Mittelaufstockung würde insbesondere Kommunen und Stadtwerken zusätzliche Investitionen ermöglichen.


Klimafreundliche Mobilität

Nachholbedarf gibt es auch bei kommunalen Investitionen in der ÖPVN (Öffentlicher Personen Nahverkehr, d.Red.). Dabei kann die Erhöhung der – von der Bundesregierung zusammengestrichenen – Mittel für den Regionalverkehr helfen. Statt in neue Autobahnen sollte in den Ausbau des Schienennetzes und in die Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene investiert werden.

Da ein grüner New Deal die Wirtschaft ökologisch modernisieren anstatt bestehende Strukturen konservieren soll, darf es Hilfen für die Automobilindustrie nur geben, wenn sie an ökologische Auflagen geknüpft werden, die über die weichgespülten Vorgaben des EU-Klimapakets hinausgehen. Das bedeutet die Förderung des notwendigen Strukturwandels hin zu Drei-Liter-Autos, Hybridfahrzeugen und Elektroautos. Dem gleichen Zweck muss auch die Umstellung der Kfz-Steuer auf den CO2-Ausstoß dienen.

Elektromobilität erfordert aber nicht nur neue Autos und bessere Batterien. Sie braucht auch eine neue Infrastruktur von dezentralen Auflade- und Batteriewechsel-Stationen, die eines Tages das Tankstellennetz des Ölzeitalters ablösen könnten. Israel, Dänemark, Australien und der US-Bundesstaat Kalifornien haben angekündigt, diese Infrastruktur flächendeckend aufbauen zu wollen. Deutschland sollte diesem Beispiel folgen.

Zum Teil können die ökologischen Investitionen unmittelbar dazu beitragen, soziale Ungerechtigkeit abzubauen, zum Beispiel durch gezielte Sanierung von vernachlässigten Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten. Darüber hinaus muss der grüne New Deal direkt in mehr soziale Gerechtigkeit investieren. So besteht in der Bundesrepublik mit Blick auf Bildung großer Investitionsbedarf, wie OECD-Statistiken und PISA-Studien eindringlich belegen. Zudem müssen Arbeitslosengeld II und andere Grundsicherungsleistungen auf das von den Wohlfahrtsverbänden schon lange geforderte Niveau von 420 Euro erhöht werden – das würde die Binnennachfrageunmittelbar stärken und wäre deshalb auch ökonomisch wirksamer als die von der Koalition angekündigten Steuersenkungen, die häufig nur auf Konten und in Sparstrümpfen landen. Die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, der die Kaufkraft von Geringverdienern erhöht und der wachsenden „Armut trotz Arbeit“ ein Ende setzt, ist ebenfalls überfällig. Auch hier kann der historische New Deal, der die ersten Mindestlöhne für amerikanische Industriearbeiter festlegte, als Inspiration dienen.


Neue Mehrheiten für den New Deal?

Zugegeben: Diese Investitionen kosten viel Geld. Sollen sie konjunkturelle Wirkung entfalten, müssen sie überwiegend kreditfinanziert sein. Doch gibt es Alternativen? Dass selbst die derartigen Vorschlägen sonst wenig zuneigenden „Wirtschaftsweisen“ jetzt ein kreditfinanziertes Konjunkturprogramm fordern, zeigt, wie ernst die Lage inzwischen geworden ist.

Wie aber sehen die politischen Chancen für einen grünen New Deal aus? Noch vor kurzem hätte man auf breite Unterstützung hoffen können, schien sich doch ein neuer klimapolitischer Grundkonsens abzuzeichnen – damals, als Angela Merkel sich vor grönländischen Eisbergen und im Strandkorb von Heiligendamm als Klimakanzlerin inszenierte.

Doch das ist lange her. Jetzt, in der Krise, ist vor allem in der Union der eingangs beschriebene klimapolitische Rollback spürbar, kommt es zu einem Rückfall in überwunden geglaubte Denkmuster, in denen Ökonomie und Ökologie als Gegensatz gelten und Klimaschutz als Jobkiller.

Obwohl es für einige der skizzierten Projekte im Bundestag und in der Gesellschaft durchaus Mehrheiten gibt, ist daher – zumindest bis zur Bundestagswahl im September – kaum mit neuen Impulsen zu rechnen. Erst nach der Wahl werden die Karten wieder neu gemischt.


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Dirk Schrader, Hamburg


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