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Irak – O Gott – Irak

Zwischenruf aus einem Land fortwährender Zerstörung


von Najem Wali

Wenn ich drei Jahre nach dem umjubelten Sturz der Saddam-Statue am 9. April 2003 daran zurückdenke, wie sehr ich mich damals gefreit habe, überwältigen mich immer wieder Frust, Trauer und Schmerz darüber, wie sich der Traum von meinem Land , den ich jahrelang in meinem herzen trug, einfach in Luft aufgelöst hat.

Alles Mögliche hatte ich herbeigesehnt , nur nicht dieses Elend. Je mehr ich mich auf diese Gedanken einlasse, um so deutlicher wird das Ausmaß der Zerstörung, angerichtet von Invasoren, Kriegsgewinnlern und religiösen Extremisten. Aus den Nachbarändern erklingen dazu die Stimmen irakischer Intellektueller, die schweigend zuschauen oder Lobhymnen auf die neue Regierung singen wie einst auf Saddam Hussein.
So wird die Hoffnung, die die Menschen hegten, nachdem Saddam Hussein und seine Parteigenossen gescheitert waren, zunichte gemacht. Die amerikanischen und britischen Soldaten waren seinerzeit unter der Vorwand einmarschiert, sie brächten die Demokratie und, wichtiger noch, suchten nach Massenvernichtungswaffen. Nichts davon ist ihnen gelungen. Im Gegenteil, sie verbreiten stattdessen selbst Massenvernichtungswaffen.

Irak zerfällt. Wer etwas anderes behauptet, lügt

Wer dazu schweigt, beteiligt sich wissentlich an der Festigung destruktiver Strukturen, ganz so wie sich die schweigende Mehrheit früher an der Konsolidierung einer der blutigen Diktaturen des Nahen Ostens mit schuldig machte.
Dabei sollten doch die Intellektuellen heute die Wahrheit sagen statt sich feige zu verkriechen! Irak zerfällt, und wer etwas anderes behauptet, lügt ganz einfach.

Wer gehofft hatte, dass die USA diesmal endlich ein wenig aus ihrem bisherigen Weltmachtstreben gelernt hätten, dass sie nun, wie großartigangekündigt, eine Demokratie errichten würden; wer gehofft hatte, dass sie das Land wieder aufbauen würden, und sei es nur aus Eigeninteresse im Kampf gegen den Terrorismus, wie sie es einst im Kalten Krieg mit Deutschland und Japan getan hatten, der wurde bald enttäuscht: Gleichzeitig mit den Marines fiel ein Heer von korrupten Beratern über das Land her, die nur eines im Sinn hatten: möglichst große Beute zu machen.

Mal ganz ehrlich: Was haben wir gewonnen? Früher lebten die Iraker unter der Diktatur, heute in unberechenbarem Chaos. Mord und Grauen lauern an jeder Straßenecke. Das ist die schreckliche Bilanz der letzten drei Jahre. Und nichts bessert sich, im Gegenteil, es wird immer noch schlimmer.

Die USA haben Irak zum Hauptschauplatz ihres Krieges gegen ihre erbitterten Feinde, die Al Qaida und Iran, erhoben, und gehen dabei über die Leichen der Iraker. Hinzu kommt ein Macht-Vakuum an der Spitze des Staates. Ein Clan von Politikern ohne klares Programm und ohne Visionen lässt es sich in der grünen Zone wohl ergehen und schaut tatenlos zu, wie der Rest des Landes Wegelagerern, Milizen und anderen Verbrechern anheim fällt, die gnadenlos ihr vorgeblich konfessionell oder ethnisch motiviertes Unwesen treiben.

Die Biographien ehemaliger oder derzeitiger Minister geben auch nicht gerade Anlass zu Optimismus. Diese Politiker legen nicht nur mittelalterliche Ansichten an den Tag. Ihre einzige Sorge scheint zu sein, wie sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen abschneiden lässt.

Die irakischen Minister sind nicht an der Macht, um ein bestimmtes Programm umzusetzen, sondern um sich so schnell wie möglich zu bereichern. Ja, die irakische Bevölkerung muss heute sogar mehrere Machthaber erdulden: Zunächst einmal die Besatzungsmacht, die ihre eigenen Ziele und Pläne verfolgt, die vom Weißen Haus und vom Pentagon vorgegeben werden; dann die gewählte Übergangsregierung, die wohl noch eine Weile lang auf Jagd nach rascher fetter Beute ihre Zerstörungsarbeit vorübergehend fortsetzen wird. (Genauso wie die Übergangs-Verfassung zuvor dem Land schweren Schaden zugefügt hat – diese Übergänge scheinen das Schicksal der Iraker zu sein!)

Und schließlich gibt es da noch die so genannten Aufständischen, die vom gestürzten Bath-Regime Strukturen und Personal geerbt haben, von hochrangigen Militärs und Geheimdienstlern über Parteimilizen bis hin zu Saddams Elitetruppen.

Mit samt ihren leichten und mittelschweren Waffen sind sie abgetaucht und haben sich nun mit Al Quaida und anderen extremistischen Terrororganisationen verbündet. Was bleibt den Irakern anderes übrig, als sich in Panik zu Hause zu verschanzen? Die „Aufständischen“ entführen ganz nach Lust und Laune, lassen auch gelegentlich mal Geiseln wieder frei, wenn es ihnen passt – und diktieren so den Besatzern die politischen Spielregeln.

Sie bestimmen die Zusammensetzung der neuen Regierung, während die alten und neuen Machthaber fast vier Monate lang über die Bildung einer Regierung beraten, die, ohnehin äußerst undurchsichtig, auch nicht besser sein wird als die alte. Ihr Machtbereich beschränkt sich auf die Grüne Zone. Man reißt sich um die Beute, schachert um Posten, politische und wirtschaftliche Programme dagegen gehen völlig unter.

Kein irakischer Minister pflegt Kontakt zum Volk

Die Iraker, die ganze drei Male ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um wählen zu gehen, sind enttäuscht von den Politikern, die sich zwar von ihnen haben wählen lassen, sich jedoch jetzt aus Furcht verkriechen.
Kein irakischer Minister pflegt den Kontakt zum Volk, kein Politiker traut sich aus der Grünen Zone heraus, um direkt mit den Menschen zu sprechen. Regierungsmitglieder und Parlamentarier halten ihre Sitzungen in dieser Zone ab, denn wer sich aus seiner einem Bath-Bonzen enteigneten Villa wagt, wird umgelegt.

Doch die Iraker fühlen sch auch von den Intellektuellen im In- und< Ausland im Stich gelassen. Aber vielleicht kommen damit ja beide Gruppierungen nur den ihnen zugedachten Aufgaben nach.
Die Regierung verhält sich ruhig und tanzt brav nach der Pfeife des Vertreters der Besatzungsmacht, Botschafter Zalmay Khalilzad. Die Regierungsmitglieder wissen nur zu gut, dass sie zu Hausarrest verdonnert sind, ebenso wie der afghanische Präsident Hamid Karzai, der seinen Präsidentenpalast nur verlässt, um zu verkünden, dass die amerikanischen Truppen noch weiter im Land verbleiben.

Die Intellektuellen ihrerseits sollen brav Lobeshymnen auf die Regierung verfassen, ganz so wie sie es aus 35 Jahren Saddam-Herrschaft gewohnt sind. Drei Jahre sind ins Land gezogen, ein Albtraum aus Mord und Zerstörung – und das kommende Jahr verheißt noch mehr davon.

Najem Wali

Vor fast genau drei Jahren, am 9. April 2003, stürzte unter den Augen der Weltöffentlichkeit das Denkmal Saddam Husseins in Bagdad. Seither befindet sich Irak in einem dauerhaften Zustand politischer und militärischer Destabilisierung. Nach außen dringen kaum mehr als Nachrichten über Entführungen, Gewalt und Zerstörung.
Der irakische Schriftsteller Najem Wali hat wiederholt auf die trostlose Entwicklung in seinem Land aufmerksam gemacht. Von ihm erschien zuletzt der Roman „Die Reise nach Tell al -Lahm“ im Hanser Verlag.

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