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Die Bezahlung von Abgeordneten


Die Bezahlung von Abgeordneten ist grob ungerecht und zutiefst undemokratisch. Sie lockt die Falschen ins Parlament und macht sie zu abhängigen Parteisoldaten. Bloß, kaum einer wagt die Ungeheuerlichkeit beim Namen zu nennen.

In Deutschland erhalten alle Abgeordnete eines Parlaments grundsätzlich dieselbe Bezahlung, wobei der Bundestag für seine Mitglieder – in aller Bescheidenheit – das Gehalt von Bundesrichtern in Anspruch nimmt. In der Praxis wirkt sich dies höchst ungerecht aus. Oder ist es etwa fair, dass ein 19-jähriger Abiturient ein Bundesrichtergehalt erhält, ein erfolgreicher Unternehmer, ein umworbener Wissenschaftler oder ein Freiberufler mit anspruchsvoller Ausbildung, langjähriger Erfahrung und entsprechendem Gehalt, der sein Abgeordnetenamt ernst nimmt, dagegen auf wesentliche Teile seines Einkommens verzichten muss? Für den einen kommt das Mandat einem Lottogewinn gleich, für den anderen stellt es ein finanzielles Opfer dar. Die scheinbare Gleichheit führt zu krasser Ungleichheit. Der majestätische Grundsatz der gleichen Wählbarkeit aller Bürger verbietet ja nicht nur, Gleiches ungleich zu behandeln, sondern ebenso Ungleiches über einen Kamm zu scheren. Doch genau dies geschieht. Das liegt an der Abwesenheit irgendwelcher Zugangsvoraussetzungen: Während man Spitzenpositionen außerhalb der Politik normalerweise erst nach langer Ausbildung und Erfahrung erreichen kann, verlangt das Parlamentsmandat nichts dergleichen. Für Beamte, die dieselbe Funktion ausüben, z.B. Grundschullehrer, ist eine einheitliche Besoldung sinnvoll. Sie brauchen für ihre Aufgabe eine klar geregelte Ausbildung, die sie durch das Bestehen von Examen belegen. Bei Abgeordneten geht es dagegen darum, allen – unabhängig von Ausbildung und Examen – gleiche Zugangschancen zum Parlament zu eröffnen. Um hier keine ökonomischen Schranken zu errichten, wäre es sinnvoll, ihnen grundsätzlich ihren jeweiligen Einkommensausfall zu ersetzen.

Da das Mandat für Männer und Frauen, die außerhalb der Politik nur einen durchschnittlich bezahlten Job ohne großes Sozialprestige finden, wahnsinnig attraktiv ist, fühlen sich zum Beispiel mittlere Beamte und Lehrer vom Hohen Haus, in dem sie nicht nur ihr Einkommen verdoppeln oder verdreifachen, sondern auch eine öffentliche Rolle übernehmen, magisch angezogen. Dagegen sind leitende Beamte, erfolgreiche Journalisten, Wissenschaftler oder Wirtschaftler, die einer verantwortungsvollen, hoch bezahlten Tätigkeit nachgehen, dort kaum anzutreffen. Als der SPD-Politiker Wolfgang Roth vom Bundestag an die Spitze der Europäischen Investitionsbank gewechselt war, sprach er offen aus, was viele denken: Für einen ökonomisch Denkenden wie ihn sei es „völlig beknackt“, seine Zeit im Bundestag zu verbringen. Finanziell gesehen, sei das Parlament „eine nette Karriere für einen Studienrat, aber sonst…“. Wer wollte da noch behaupten, im Parlament versammle sich die Elite der Nation?

Auch von einer repräsentativen Zusammensetzung der sogenannten Volksvertretung, die in etwa der Zusammensetzung der Bürger entspräche, kann – angesichts der Beamtenschwemme – keine Rede sein.

Überdies: wer seinen wirtschaftlichen Status allein dem Parlamentsmandat verdankt, ist auf seine Partei, von der seine politische Karriere abhängt, vollends angewiesen und wird um so leichter zum abhängigen Parteisoldaten. Darüber reiben sich die Schatzmeister der Parteien allerdings die Hände: Je mehr das Mandat als Pfründe erscheint und je abhängiger der angebliche Volksvertreter deshalb von der Aufstellung und Wiederaufstellung durch seine Partei ist, desto bereitwilliger wird er die hohen Sonderausgaben entrichten, die die Partei ihm – als Gegenleistung für die Verschaffung des Mandats – abfordert.

Das derzeitige Diätensystem begünstigt also einseitig inferiore Zusammensetzung des Parlaments, weil die Einheitsdiäten geradezu die Tüchtigsten und die Unabhängigen wirtschaftlich abschreckt. Den glücklichen Inhaber der Mandate kann dies, so zynisch es klingen mag, allerdings nur recht sein: Das System schottet sie gegen unliebsame Konkurrenz ab.

Dabei spricht das Grundgesetz in Art. 48 Abs. 3 keineswegs von einer für alle gleich hohen Alimentation, sondern ausdrücklich von einer angemessenen, die Unabhängigkeit der Abgeordneten sichernden Entschädigung. Das Wort Ent-Schädigung weist auf eine Schädigung hin, die ausgeglichen werden muss. Schon der Wortlaut des Grundgesetzes legt also die Erstattung der Kosten und den Ausgleich des Einkommensausfalls nahe, der durch die Wahrnehmung des Mandats entsteht, und der ist für die Abgeordneten eben höchst unterschiedlich. Zudem darf nach Art. 48 Abs. 2 niemand gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben Genau das aber bewirkt die für alle gleich hohe Alimentation. Sie schreckt Hochverdiener ab. Deshalb müsste eigentlich die Bezahlung – je nach der Höhe des bisherigen Einkommens, das der Abgeordnete durch die Übernahme des Mandats verliert – divergieren, wobei allerdings Mindest- und Höchstgrenzen vorzusehen wären.

Für ein gewisses Gegengewicht gegen Fehlanreize des geltenden Diätensystems sorgt immerhin schon jetzt das Recht deutscher Abgeordneter, nebenher noch einen privaten Beruf auszuüben und daraus ein Zusatzeinkommen zu beziehen. Das erleichtert auch Hochqualifizierten die Übernahme eines Mandats, ohne dass sie große ökonomische Verluste in Kauf nehmen müssen. Solche Berufstätigkeit ist – angesichts der Anforderungen zumindest von Bundestagsabgeordneten – allerdings nur in Grenzen möglich, wollen sie nicht vor lauter Nebenjobs ihr Mandat vernachlässigen.

Keineswegs ins Bild des korrekten Abgeordneten Passen dagegen Abgeordnete, die ihren politischen Einfluss verkaufen. Dieser Verdacht steht auch dann im Raum, wenn der Abgeordnet für Geld aktuell gar nichts zu tun braucht. Er wird auf diese Weise jedenfalls „angefüttert“ und gerät in finanzielle Abhängigkeit. Solche „arbeitslosen“ Zahlungen sind Bundestagsabgeordneten deshalb seit Kurzem ausdrücklich verboten.

Eine Reform der staatlichen Diäten hin zu einer echten Entschädigung von den Abgeordneten selbst zu erwarten wäre allerdings Illusion. Zu sehr profitieren die, die drin sind, vom derzeitigen Diätensystem, als dass sie sich selbst von den Besten Gemeinwohl-Argumenten überzeugen ließen. Die Hoffnung liegt deshalb auf Volksbegehren und Volksentscheiden. Auch das Bundesverfassungsgericht könnte die Weichen stellen. Das Gerucht ist zwar früher selbst von einer Einheitsalimentation für alle Abgeordneten ausgegangen. Eine Umkehr ist jedoch keineswegs ausgeschlossen. Denn die früheren Urteile standen unter dem Einfluss der unseligen Parteienstaatsdoktrin von Gerhard Leibholz, welche das Gericht inzwischen selbst aufgegeben hat.


Hans Herbert von Arnim


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