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Berufspolitiker: Dilettanten im Amt?

Von Hans Herbert von Arnim


Überall in der Republik gilt das Leistungsprinzip: in Wirtschaft und Gesellschaft wie in der Gerichtsbarkeit und der Verwaltung. Überall sind umfassende Ausbildungsgänge vorgesehen. Nur in der Politik gilt nichts dergleichen. Politiker üben als Einzige einen Beruf aus, für den keinerlei Vorbildung verlangt wird. Das hat seinen Grund in Eigenheiten des Rekrutierungsverfahrens. Bei der Kandidatenaufstellung für den Bundestag, das Europaparlament und die Landtage spielt die parteiinterne jahrelange sogenannte Ochsentour eine zentrale Rolle. Um sie durchzustehen, benötigt man vor allem Zeit, muss sich den innerparteilichen Riten anpassen und sollte, da alles auf personenebezogenem Goodwill beruht, auch den Wohnort nicht wechseln. Das schreckt leistungsorientierte, qualifizierte, ideenreiche, schöpferische und wirtschaftlich erfolgreiche Personen, die meist mobil sein müssen und wenig Zeit haben, ab und zieht >>Zeitreiche<< und >>Immobile<< an. Nicht einmal eine abgeschlossene Berufsausbildung ist erforderlich, über die auch sehr erfolgreiche Politiker oft gar nicht verfügen. Beispiele, die der ehemalige Ministerialbeamte Wolfgang Franz vor allem aus dem Bereich der Grünen zusammengetragen hat, sind Joseph „Joschka“ Fischer (Bundesminister des Auswärtigen 1998-2005), Katrin Göring-Eckardt (Fraktionsvorsitzende 2002-2005, Bundesvizepräsidentin seit 2005), Matthias Berninger (Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft 2002-2005), Margareta Wolf (Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 2002-2005) und Reinhard Bütikofer (Parteivorsitzender der Grünen 2002-2005), Andere waren bis zu ihrer Wahl in den Deutschen Bundestag arbeitslos; so z.B. Ludger Volmer (Die Grünen, Staatsminister im Auswärtigen Amt 1998-2002) und Elke Reinke (Die Linke, MdB seit 2005).

Auch die sogenannten Experten in den Ausschüssen der Parlamente verdienen diesen Namen meist nicht. Die Verteilung der Posten erfolgt nach Macht- und Proporzerwägungen. Für die Mitgliedschaft etwa im Haushaltsausschuss sind regelmäßig keine Kenntnisse des Haushaltswesens erforderlich. Die suchen sich viele erst anzueignen, bleiben dabei aber oft Dilettanten. Da passt das Wort des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: „Bei uns ist ein Berufspolitiker im Allgemeinen weder ein Fachmann noch ein Dilettant, sondern ein Generalist mit dem Spezialwissen, wie man politische Gegner bekämpft.“ Und der Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis ergänzt: „Die Malaise heute ist, dass die Politiker nicht mehr die Kenntnisse haben, die sie haben müssten. Sie kommen als Lehrer in den Bundestag und verstehen von nichts etwas – außer davon, wie man im Ortsverein seine Mehrheit organisiert.“

Minister gehen üblicherweise aus dem Kreis der Abgeordneten hervor. Berufliche Spitzenqualifikationen sind dabei eher selten. „Also sitzen um den Kabinettstisch viele Leute, die außerhalb der Politik eher Mühe hätten, in Spitzenpositionen zu kommen“ (Der Spiegel). So kann es kommen, dass ein gelernter Müllermeister Bundeswirtschaftsminister wird oder eine Frau, die aufgrund ihrer schwachen juristischen Examen wohl keine Chance gehabt hätte, Amtsrichterin zu werden, zur Justizministerin aufstieg und in dieser Eigenschaft die Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes mit auswählte. Als sie schließlich auch noch als Verfassungsrichterin im Gespräch war, stellte die andere große Partei sich ausnahmsweise einmal quer. Nur wenige Minister haben vor ihrer erstmaligen Bestellung nennenswerte Sachverantwortung oder gar Finanz- oder Personalverantwortung getragen.

Das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs, das in der Zeit der ersten Großen Koalition im Bund eingeführt worden war, ist geradezu zum Institut der Versorgung und parteilichen Austarierung degeneriert. Große Kompetenz wurde schon deswegen nicht vorausgesetzt, weil Stellung und Befugnisse dieses Amtes neben Minister und beamtetem Staatssekretär unklar war. Der schon Rainer Barzel zugeschriebene Ausspruch, Parlamentarische Staatssekretäre seien „unnötig wie ein Kropf“, sie erledigten keine Arbeit, sondern machten nur welche, wurde in Kreisen der Ministerien dahin variiert: „Sie nehmen uns Arbeit ab, die es nicht gäbe, wenn wir sie nicht hätten.“

Man wundert sich immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit Berufspolitiker hohe Ämter besetzen, auch wenn sie nicht über die geringsten fachlichen Fähigkeiten verfügen. Das erklärt sich eben daraus, dass der politische Machtkampf vor allem auf eins abzielt: Die Besetzung staatlicher Ämter mit den siegreichen Kämpfern und ihrer Führungsclique. Wer sich in diesem Kampf durchgesetzt hat, soll nun nicht mangels Amtsqualifikation scheitern. Das ist die vom Eigeninteresse gespeiste Maxime der Kämpfer, die Berufslüge der politischen Klasse, die für möglichst viele Ämter in Betracht kommen will – ohne Rücksicht auf vorhandene oder nicht vorhandene Qualifikation, auch wenn es aus der Perspektive des Gemeinwohls offensichtlich ist, dass man eigentlich ganz andere Fähigkeiten braucht, Minister zu sein, als die, die dazu verholfen haben, Minister zu werden.

Die primäre Macht- und Interessenorientierung des typischen Berufspolitikers spiegelt sich auch darin, dass es an einem normalen Ausbildungsgang für Politiker fehlt. Derartiges einzurichten ist zwar immer wieder gefordert worden. Der Politikwissenschaftler Eugen Kogon hat bereits vor dreißig Jahren einen besonderen Studien- und Ausbildungsgang für Politiker und zu diesem Zweck die Errichtung einer >>Deutschen Politischen Akademie<< vorgeschlagen. Dass es dazu nicht gekommen ist, hat seinen Grund: Was für eine berufspolitische Karriere besonders wichtig ist, kann man nicht offen benennen und schon gar nicht offiziell lehren, ohne in hohem Maße zynisch zu erscheinen: die Techniken der Macht mit ihrer raffinierten Instrumentalisierung der Schwächen von Mitmenschen zur Sicherung der Macht, Posten und Geld; die Minimierung von möglichen Angriffsflächen für politische Gegner mit der Folge von >>Profillosigkeit und Positionsverschwommenheit, taktischen Loyalitätsschwankungen und Opportunismus, leerem Politikerjargon und Reden mit gespaltener Zunge<< (so der Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl) – alles Verhaltensweisen, wie Niccolò Machiavelli sie gelehrt haben könnte. Der erfolgreiche Berufspolitiker ist vom Typ her – in der Mediendemokratie – vor allem ein Meister der Inszenierung des gefälligen Scheins. Dabei zählt weniger die tatsächliche Sachkompetenz als vielmehr die >>Darstellungskompetenz von Kompetenz<<.

Die sachliche Richtigkeit von Problemlösungen interessiert allenfalls in zweiter oder dritter Linie. Und genau das unterscheidet Berufspolitiker von Angehörigen wirklicher Professionen, die durch anspruchsvolle theoretische und praktische Spezialausbildung ein hohes Maß an Fachwissen und Können erworben haben, welches ihnen eine sachlich möglichst gute Erledigung der Aufgaben beispielsweise eines Arztes, eines Rechtsanwalts oder auch eines Unternehmers erlauben soll.

Ein Ausbildungsgang für Berufspolitiker scheiterte bisher also an einem Dilemma: Was für die Karriere von Politikern am wichtigsten ist, kann man nicht offiziell lehren, ohne das sorgfältig abgedunkelte innere Wesen des Systems aufzudecken. Und das, was man lehren könnte, also Bedingungen und Konsequenzen rationaler, am Gemeinwohl ausgerichteter Politik, ist für das persönliche Fortkommen eines Politikers nicht wirklich wichtig, sondern geradezu hinderlich. Eine politische Akademie müsste deshalb entweder Tabus brechen und Dinge behandeln, über die >>man nicht spricht<<, oder sie müsste Lehren anbieten, die Politiker nicht wirklich interessieren – beides Alternativen, die nicht sehr hoffnungsvoll stimmen, dass >>die Politik << die Gründung einer solchen Akademie fördert. Dennoch sollte sie eingerichtet und ihr Besuch zur Pflicht für Parlamentskandidaten und Regierungsmitglieder werden.


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