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Raus aus Afghanistan!

von Peter Scholl-Latour


Die Briten hätten es besser wissen müssen. Man gewinnt keinen Krieg in Afghanistan. Gewiss, das Desaster von 1840, als die aus Kabul ausbrechende Garnison Ihrer Majestät mitsamt Familien und Hilfskräften in den Schluchten des Hindukusch durch Stammeskrieger massakriert wurde, gehört einer anderen Epoche an. Das Ereignis war immerhin so sensationell, dass Theodor Fontane dem einzigen Überlebenden, einem Militärarzt, der bis Jalalabad gelangte, eine Ballade widmete: „Mit 13 000 der Zug begann; einer kam heim aus Afghanistan.“

Wer nicht so weit zurückgreifen will, hätte sich zumindest zum Erfahrungsaustausch an die russischen Veteranen wenden sollen. Nach zehnjähriger Okkupation durch 130 000 Sowjetsoldaten mitsamt einem Aufgebot von Hunderten, vielleicht Tausenden von Panzern waren sie dem Zermürbungskrieg der Mudschahedin erlegen. Wer in den Felsschluchten des Panjir die Vielzahl der zerstörten sowjetischen Panzer gesehen hat, der kommt auch nicht auf die kuriose Idee, es am Hindukusch mit den deutschen Leopard II zu versuchen, der für die norddeutsche Tiefebene, aber nicht einmal für die Verwendung im Kosovo taugt.

Die Absicht deutscher Politiker, die Bundewehr auf mindestens weitere zehn Jahre in Afghanistan zu belassen und deren Engagement sogar auf den heiklen Süden auszuweiten, mutet recht merkwürdig an, während gleichzeitig im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf die Rückführung der US-Truppen aus dem Irak zum zentralen Thema der Kandidaten wurde. In Deutschland optiert die Mehrheit der Bevölkerung für eine baldige Räumung Afghanistans, aber neuerdings ist es bei Parlamentariern und Publizisten Mode geworden, die Meinung des Bürgers gering zu achten gemäß der vulgären Redensart von einst: „vox populi, vox Rindvieh“. Dabei hatten die Wähler, die Gerhard Schröder im Amt bestätigten, als er sich weigerte, am Feldzug „Iraqi freedom“ teilzunehmen, mehr gesunden Menschenverstand bewiesen als die „kriegslustigen“ Intellektuellen und Politprofis. Mit grimmiger Heiterkeit kann man feststellen, dass ausgerechnet jene früheren Wortführer eines utopischen Ultra-Pazifismus sich heute als Bellizisten in die Brust werfen. Unter den Journalisten plädieren vor allem diejenigen für einen unbegrenzten und verstärkten Einsatz deutscher Truppen, die niemals ihren Fuß auf afghanischen Boden setzten oder sich allenfalls unter massivem Schutz zu einer Stippvisite aufrafften. Ein deutscher General erklärte vor laufender Kamera, wenn Deutschland nicht in Afghanistan verbleibe, käme Afghanistan zu uns. Er täte gut daran, einen Blick auf die Landkarte zu werfen. Was sich zur Stunde im Irak, im Nahen Osten, demnächst auf dem Balkan und übermorgen in Nordafrika abspielt, ist für Europa unendlich wichtiger als die Behauptung von isolierten Stützpunkten im hintersten Winkel Zentralasiens.

Die deutsche Öffentlichkeit unterliegt einer permanenten Desinformation. Wer will denn schon zur Kenntnis nehmen, dass das abscheuliche Attentat von 9/11 nicht das Werk afghanischer Freischärler, sondern saudi-arabischer Studenten war. Al Quaida ist keine afghanische, sondern eine saudische Organisation. Finanziert wird sie – so berichten US-Medien – zu einem wesentlichen Teil durch den Trust „Dar-el-Maal el Islami“ des hochangesehenen Prinzen Mohammed es Faisal und seinesgleichen. Vergessen wir nicht, dass Osama bin Laden seine „grüne Fremdenlegion“ in enger Zusammenarbeit mit der CIA rekrutierte, um sie gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans einzusetzen. Sogar an der Aufstellung der Taliban-Horden des Mullah Omar waren amerikanische und pakistanische Geheimdienstler maßgeblich beteiligt. Viel zu spät entdeckten sie, dass sie sich mit einem unheimlichen Bettgenossen eingelassen hatten.

In der Bundesrepublik ist die Diskussion darüber entbrannt, ob eine säuberliche Trennung zwischen „Enduring freedom“ Isaf-Auftrag und Tornado-Einsatz der deutschen Militärpräsenz weiterhin das Wohlwollen der afghanischen Bevölkerung gewähren könne. Aber wie soll ein einfacher Paschtune diese Differenzierung vornehmen? Die am Hindukusch befindlichen Truppen sind im Oberbefehl der Nato, das heißt de facto dem amerikanischen Kommando untergeordnet. In diesem Feldzug, der sich auf abenteuerliche Weise „out of area“ abspielt, könnte die ohnehin obsolete Bündnisstruktur vollends zu Bruch gehen.
Was die bevorzugte Sonderstellung der Deutschen bei Afghanen betrifft, so muss mit Ernüchterung festgestellt werden, dass amerikanische Dienste, die sich durch Tarnung mit deutschen Fähnchen und Nummernschildern einen gewissen Schutz vor den Taliban versprachen, diese Praxis inzwischen aufgegeben haben. Eine zusätzliche Täuschung der Öffentlichkeit findet statt, wenn der Tod von Bundeswehrsoldaten in Kundus und die Entführung von zwei deutschen Ingenieuren in der Provinz Wardak zu Schicksalsfragen hochgespielt werden. Natürlich kann die Berliner Regierung nicht ein strategisches Projekt aufgeben, weil dabei Soldaten ums Leben kommen. Das gehört leider zu jeder kriegerischen Aktion. Erst recht darf sie sich nicht durch kriminelle Banden erpressen und auf eine politische Kursänderung drängen lassen, weil deutsche Zivilisten auf schändliche Weise als Geiseln missbraucht werden. Diese zutiefst schmerzlichen Vorfälle berühren jedoch nicht den wesentlichen Punkt. Nämlich die Frage, ob der deutsche, ob der Nato-Einsatz am Hindukusch überhaupt Sinn macht. Die Antwort darauf kann nur ein deutliches Nein sein.

Es gibt keine Nato-Kontrolle über Afghanistan, weder im umkämpften Süden und Osten noch im relativ ruhigen Norden, wo die Bundeswehr ihre Schutzburgen ausgebaut hat. Von den Soldaten, die dort gewissenhaft ihren Dienst versehen, existiert in der Heimat ein völlig falsches Bild. Diese mit Logistik und Versorgungseinrichtungen überfrachtete Truppe, die sogar ihre gesamte Verpflegung aus Deutschland einfliegen lässt, als ob es in Afghanistan kein vorzügliches Hammel- oder Rindfleisch sowie herrliche Früchte gäbe, sind in ihren jeweiligen Basen regelrecht eingesperrt. Geradezu privilegiert sind die mobilen Einheiten, die in einem sich ständig reduzierenden Umkreis Patrouillen durchführen. Für die übrigen Mannschaften gibt es keinen einzigen Ausflug. Zu Beginn ihrer Dienstzeit werden sie am Flugplatz abgesetzt und im gepanzerten Mannschaftswagen mit geschlossenen Luken zum nahen Camp gefahren. Dann folgen mehrere Monate eintönige Isolierung.

Der Schwerpunkt des deutschen Einsatzes solle überwiegend auf humanitäre Aufgaben und – so es denn um militärische Betätigung geht – auf die Ausbildung von Armee und Polizei konzentriert werden, demnächst auch im umkämpften Süden, so hört man neuerdings. Die Amerikaner haben sich von Anfang an dieser Aufstellung von Hilfswilligenverbänden gewidmet. Ein Unterschied zwischen Infanterie- und Polizei-Ausbildung wurde dabei nicht gemacht.
In beiden Fällen ist die Methode rudimentär, das Ergebnis kläglich gewesen. Vereinzelte deutsche Instrukteure in Konfliktzonen zu entsenden, käme in vielen Provinzen einem Todesurteil gleich. Mag sein, dass viele Afghanen, die tadschikische Volksgruppe und die Hazara zumal, den überwiegend paschtunischen Taliban mit Widerwillen und Feindschaft gegenüberstehen. Das heißt aber nicht, dass sie die westlichen Besatzer lieben.

Wer heute deutsche Verstärkungen für Kabul anfordert, sollte an Frankreich denken, das einst jede Verhandlung mit den Rebellen der „Nationalen Befreiungsfront“ ablehnte und eine halbe Million französische Soldaten, überwiegend Wehrpflichtige, zur „Pacification“ der nordamerikanischen Departements über das Mittelmeer verfrachtete. Trotz eines unbestreitbaren Befriedungserfolges und einer gelungenen Stabilisierung, von denen die Alliierten in Afghanistan nur träumen können, hat Charles de Gaulle – in klarer Erkenntnis der politischen Ausweglosigkeit – die Verhandlung mit dem Feind gesucht. Zum Wohle Frankreichs.



Was kostet der Krieg?

Der Deutsche Bundestag erteilte am 16. November 2001 erstmals das Mandat für die Teilnahme der Bundeswehr an den von den USA geführten „Operation Enduring Freedom“ (OEF) in Afghanistan. Diese widmete sich dem Kampf gegen das terroristische Netzwerk Al Qaida und die Taliban. Der Einsatz der daran beteiligten maximal 100 Mitglieder des „Kommandos Spezialkräfte“ hat bis 2006 869,2 Millionen Euro gekostet. Der Beteiligung deutscher Soldaten an der „International Security Assistance Force“ (Isaf) stimmten die Parlamentarier erstmals am 22. Dezember 2001 zu. Der Einsatz, der zu einer Stabilisierung des Landes führen soll, ist bis Ende2006 mit rund 1,9 Milliarden Euro zu Buche geschlagen. Rund 3300 Bundeswehrsoldaten sind derzeit im Rahmen des Isaf-Mandates in Afghanistan stationiert. Dazu gehören auch die 200 Kräfte, die im Rahmen der Tornado-Aufklärungsflüge nicht nur im Norden, sondern auch im Süden des Landes im Einsatz sind. Für die Tornado-Flüge, die Erkenntnisse über Infrastruktur, Versorgungs- und Patrouillenwege im Land liefern sollen und die der Bundestag am 9. März dieses Jahres billigte, fallen nach Angaben des Verteidigungsministeriums 2007 Kosten in Höhe von 35 Millionen Euro an.

Quelle: Cicero, Sept. 2007

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